16.05.2023 | Astrophysik

Besteht Dunkle Materie aus Schwarzen Löchern?

Astrophysiker Günther Hasinger schildert bei einer Akademievorlesung der ÖAW eine vielversprechende Theorie bei der Suche nach der rätselhaften Dunklen Materie.

Schwarze Löcher könnten bei Dunkler Materie eine entscheidende Rolle spiele. © NASA/JPL-Caltech

Die Dunkle Materie gibt Physiker:innen seit Jahrzehnten Rätsel auf. Ursprünglich als theoretische Größe eingeführt, um Bewegungen der Materie im All exakter beschreiben zu können, setzt die Forschung große Anstrengungen daran, Erklärungen zur Dunklen Materie zu finden. Und zwar aus gutem Grund: Immerhin knapp ein Viertel des Universums soll aus Dunkler Materie bestehen.

Auch die Europäische Raumfahrtagentur ESA ist an dieser Suche maßgeblich beteiligt. Hier wird unter anderem eine Theorie mit großem Interesse verfolgt: die Idee, dass Schwarze Löcher und Dunkle Materie eng zusammenhängen. Günther Hasinger, 2018 zum wissenschaftlichen Direktor der ESA ernannt, hält dazu am 16. Mai an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) eine Akademievorlesung in Wien, die auch im Live-Stream verfolgt werden kann. Im Interview spricht der Astrophysiker über neueste Forschungsergebnisse und die Möglichkeit der Existenz Schwarzer Löcher in unserem Sonnensystem.

Live-Stream der Akademievorlesung

Unverstandene Schwarze Löcher?

Was spricht dafür, dass Dunkle Materie aus Schwarzen Löchern besteht?

Günther Hasinger: Seit etwa zehn Jahren häufen sich die Indizien dafür, dass mit unserem Verständnis der Schwarzen Löcher etwas nicht stimmt. Die supermassiven Schwarzen Löcher im Zentrum der meisten Galaxien sind viel schneller gewachsen, als unsere Theorien vorhersagen. Schon wenige 100 Millionen Jahre nach dem Urknall gab es Schwarze Löcher mit Milliarden von Sonnenmassen. Dazu kommt, dass Gravitationswellenmessungen zeigen, dass es Schwarze Löcher mit erstaunlich unterschiedlichen Massen gibt, sowohl sehr kleine als auch sehr große. Ich selber habe mit meinem Team Jahrzehntelang den Röntgenhintergrund im Universum untersucht und herausgefunden, dass das Signal sich in Punktquellen zerlegen lässt. Diese Punktquellen sehen wir auch im tiefen Infrarotbereich, der uns einen tiefen Blick in die Vergangenheit erlaubt.  Wir vermuten, dass Schwarze Löcher für die Strahlung verantwortlich sind. 

Wie alt ist diese Idee?

Hasinger: Stephen Hawking hat schon in den 1970er Jahren spekuliert, dass sogenannte primordiale Schwarze Löcher, die in den ersten zwei Sekunden nach dem Urknall entstanden sind, die zusätzliche unsichtbare Masse im Universum, die wir Dunkle Materie nennen, erklären könnten. Damals konnten die Forscher aber kein Signal entdecken und die Idee wurde nicht weiterverfolgt. Erst in den vergangenen Jahren wird das wieder ernsthaft diskutiert. 

Die niedrig hängenden Früchte sind gepflückt und wir müssen uns jetzt mehr anstrengen, um eine Erklärung zu finden."

Weil andere Erklärmodelle in der Sackgasse stecken?

Hasinger: Viele aussichtsreiche Ideen zur Erklärung der Dunklen Materie sind mittlerweile ausgeschlossen worden. Ich selbst habe eine Wette verloren, weil ich darauf gesetzt habe, dass der LHC am CERN Hinweise auf neue Teilchen bringen würde, die Dunkle Materie erklären. Die niedrig hängenden Früchte sind gepflückt und wir müssen uns jetzt mehr anstrengen, um eine Erklärung zu finden. 

Wilde Suppe aus Quantenfluktuationen

Warum ist die Theorie attraktiv?

Hasinger: Es ist ein spannendes Modell, weil es ohne neue Physik auskommt. Die Standardmodelle der Teilchenphysik und der Kosmologie müssen nicht verändert werden, um Dunkle Materie mit Schwarzen Löchern zu erklären: Wir gehen davon aus, dass in der Frühzeit des Kosmos eine Inflationsphase die Struktur der wilden Suppe aus Quantenfluktuationen eingefroren hat. Bei dieser enorm schnellen Ausdehnung wurden die vorher zufällig entstandenen virtuellen Teilchenpaare räumlich getrennt und so daran gehindert, sich sofort wieder gegenseitig auszulöschen. So entstand konkrete Materie aus der Quantensuppe. Durch die aufgeblasenen Dichtefluktuationen entstanden Regionen mit Dichtefluktuationen, die Kerne für Schwarze Löcher und Galaxien bilden. 

Fast jede Galaxie hat ein Schwarzes Loch im Zentrum."

Hat jede Galaxie ein Schwarzes Loch im Zentrum?

Hasinger: Fast jede Galaxie hat ein Schwarzes Loch im Zentrum, das zudem die Größe der Galaxie zu bestimmen scheint. Das mutet absurd an, wenn man bedenkt, dass diese Schwarzen Löcher nur etwa ein Tausendstel der Galaxienmasse ausmachen.

Das passierte in den ersten Sekunden nach dem Urknall?

Hasinger: Nach zwei Sekunden war die dunkle Materie fertig und bestand aus vier Klassen von Schwarzen Löchern, von planetar bis supermassiv. Danach fing die Dunkle Materie an, Inseln zu bilden, und es entstanden Strukturen aus Schwarzen Löchern, die normale Materie anziehen und die Sternenbildung anstoßen. Ein größeres Schwarzes Loch zieht mehr andere Schwarze Löcher an, die dann wiederum mehr Materie anziehen. 

Missionen zu Schwarzen Löchern

Gibt es Hinweise auf die kleinsten Schwarzen Löcher?

Hasinger: Wir haben Hinweise von einzelnen Mikrolinsenereignissen, die auf planetare Schwarze Löcher hindeuten. Wenn sich das bestätigt, hieße das wohl, dass jedes Planetensystem mehrere solcher kleinen Schwarzen Löcher beherbergen könnte. Ein spekulativer zusätzlicher Planet in unserem System, der manchmal als Planet X bezeichnet wird, könnte ein solches Schwarzes Loch mit planetarer Masse sein. Wenn wir ein solches Objekt entdecken, könnten wir tatsächlich eine Mission starten und erstmals ein Schwarzes Loch aus der Nähe betrachten.

Was hieße das für die Entstehung des Universums?

Hasinger: Dunkle Materie aus Schwarzen Löchern würde die Sternentstehung beschleunigen. Die ersten Sterne und Galaxien wären deutlich früher entstanden, als gängige Theorien vorhersagen. Das passt auch zu den neuesten Entdeckungen des James Webb Teleskops, das sehr alte, massereiche Galaxien aufgespürt hat. Diese Daten werden derzeit aber noch heiß diskutiert. Künftige Messinstrumente werden weit empfindlicher sein und uns in den kommenden 20 Jahren erlauben, sehr alte Schwarze Löcher zu untersuchen. 

Die meisten Schwarzen Löcher sind immer noch, wo sie waren."

Wie könnte sich eine enorme Population aus Schwarzen Löchern entwickelt haben?

Hasinger: Die meisten Schwarzen Löcher sind immer noch, wo sie waren. Das Universum ist so groß, dass sie sich nur ganz selten treffen. Selbst wenn sich zwei Schwarze Löcher sehr nahe kommen, brauchen sie ein drittes massives Objekt, um ihren Drehimpuls zu reduzieren und kollidieren zu können. Nur die supermassiven Schwarzen Löcher in den Zentren von Galaxien wachsen in nennenswertem Ausmaß. Untersuchungen des Röntgenhimmels legen nahe, dass sie im Schnitt bei 106 bis 109Sonnenmassen liegen. 

Wackelnde Sterne

Stehen wir kurz vor einer Erklärung für Dunkle Materie?

Hasinger: Wenn wir ein Schwarzes Loch mit weniger als einer Sonnenmasse finden, haben wir gewonnen. Ich warte jeden Tag auf das Knaller-Paper, das unsere Theorie bestätigt. Wir haben eine Theorie, die auf bestehenden Erkenntnissen beruht und alles erklären kann, jetzt brauchen wir stichhaltige Beweise. Wenn unsere Theorie stimmt, können wir beginnen, Schwarze Löcher in unserer Nähe zu suchen. Das sollte machbar sein. Wir müssten nur das Glück haben, dass ein solches Objekt zwischen uns und einem Stern vorbeizieht. Durch den Mikrolinseneffekt würde der Stern dann aufleuchten und wir könnten ein “Wackeln” des Sterns feststellen, durch die Beugung der Lichtstrahlen. Daraus könnten wir sogar die Masse des Schwarzen Lochs errechnen. Eine solche Entdeckung könnte es in den schon in den kommenden Jahren geben. 

 

Auf einen Blick

Günther Hasinger ist ehemaliger Wissenschaftsdirektor der Europäischen Raumfahrtagentur und zukünftiger Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für Astrophysik. Am 16. Mai 2023 hält er eine Akademievorlesung an der ÖAW in Wien - und im Livestream.

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