26.09.2023 | Digitale Konferenz

Games: neue Schlüssel zum interaktiven Erinnern

Wie Videospiele die Wahrnehmung der erzählten Lebensgeschichte schärfen können: Neue Forschungsansätze der Biografieforschung werden bei der Konferenz „Life Narrative and the Digital 2023“ an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften diskutiert.

Videospiele können mehr als unterhalten und zerstreuen - das beweisen die sogenannten Serious Games. © AdobeStock

Berlin im Jahr 1933: Adolf Hitler ist eben erst zum Reichskanzler ernannt worden - und Sie nehmen mit Ihrer kleinen Widerstandszelle den Kampf gegen das NS-Regime auf. Die Mitglieder ihrer Gruppe sind jüdisch, kommunistisch, christlich, sozialdemokratisch oder queer. Auf einem Berliner Stadtplan planen Sie wer, wann, wo Flugblätter verteilt, Spenden sammelt, antifaschistische Parolen an die Wand malt und politische Gefangene befreit. Bei jedem Einsatz steigt die Gefahr verhaftet oder ermordet zu werden.

Wie fühlt es sich an, in der Zeit des Nationalsozialismus Widerstand zu leisten? Das Computerspiel „Through the Darkest of Times“ inszeniert die beklemmende Atmosphäre der 1930er und 1940er Jahre, führt den verbreiteten Antisemitismus und die Verbrechen der Nazis vor Augen, hebt aber auch die Bedeutung zivilen Widerstandes hervor – und wagt damit den Versuch, Geschichte spielerisch erfahrbar zu machen. Und zwar auf innovative Weise. Denn obwohl der Zweite Weltkrieg zu den beliebtesten historischen Settings in Videospielen zählt, wurde dabei die Geschichte meist aus militärischer Sicht erzählt, etwa in Shooter-Spielen aus der Perspektive von US-Soldaten. Die Geschichte der NS-Verbrechen in einem Videospiel zu benennen, war hingegen lange Zeit Tabu. Das wollen die sogenannten Serious Games ändern.

Leben erzählen, Geschichte verstehen

Zu diesen Serious Games zählt auch „Anne Frank House VR“. Produziert vom Anne Frank Haus in Amsterdam, erinnert die App an die Schrecken des Holocausts aus der Perspektive der Opfer. Ausgehend von Auszügen aus Anne Franks Tagebuch durchwandern Sie die historischen Räume des einstigen geheimen Unterschlupfs in Amsterdam, wo sich die 13-Jährige gemeinsam mit ihrer Familie vor den Nazis versteckten musste. Durch eine Virtual-Reality-Brille tauchen Sie ein in die beengten Verhältnisse und bekommen unmittelbar einen Eindruck vom Alltag und Leben im Versteck.

Interaktives Storytelling

BeiSerious Games wie diesen steht nicht das Spielen als Selbstzweck im Vordergrund, erklärt Lisa Ingermann, Forscherin an der Universität Rostock. „Der Anspruch ist, dass Informationsvermittlung, Bildungspotenziale und die Anregung ethischer Reflexion in einem ausgewogenen Wechselspiel mit dem Unterhaltungsfaktor stehen“, sagt sie.

Ähnlich sieht das Maike Rettmann, Germanistin an der Universität Düsseldorf. Digitale Spiele können als Impulsgeber und Diskursmedium fungieren, um Erinnerungskultur lebendig zu halten, so die Wissenschaftlerin. Rettmann: „Indem Spieler:innen Geschichte aus bestimmten Perspektiven wahrnehmen, können sie auch ein Gespür dafür bekommen, dass Geschichte nie unabhängig von Perspektiven ist.“ Für die beiden Forscherinnen steht fest: „Ein biografischer Ansatz macht Geschichte besser greifbar, weil sie an persönlichen Schicksalen anknüpft.“

Lernen durch Computerspiele

Über Computerspiele als Ressource für historisch-biografisches Lernen und digitale Spiele, die den Holocaust thematisieren, sprechen Lisa Ingermann und Maike Rettmann im Rahmen der zweitägigen Konferenz „Life Narrative and the Digital 2023: Interdisciplinary Conference and Workshop“. Dazu lädt das Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage - ACDH-CH der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) von 26. bis 27. September 2023 ein.

In einem interdisziplinären Setting diskutieren Wissenschaftler:innen dabei neue Forschungsansätze der Biografieforschung und tauschen sich über Theorien des Life Writing im Kontext digitaler Methoden aus. Der thematische Bogen spannt sich von der Einbindung eines erweiterten biografischen Umfelds über kollaborative Biografien bis hin zu Visualierungsmöglichkeiten, wie beispielsweise eben in Videospielen. All diesen Ansätzen gemein ist das Streben, unser Kultureller Erbe sowie das Erinnern daran wach und lebendig zu halten.

 

AUF EINEN BLICK

Konferenz: „Life Narrative and the Digital 2023: Interdisciplinary Conference and Workshop“

Termin:
26. bis 27. September 2023

Orte: 
Österreichische Akademie der Wissenschaften
26. September: Collegium, Seminarraum 1
Bäckerstraße 13

27. September: Sitzungssaal
Dr. Ignaz Seipel-Platz 2
1010 Wien 

Weitere Informationen