25.09.2023 | Mittelalterliche Propaganda

„Kaiser Maximilian I. war keine One-Man-Show“

Das Forschungsprojekt „Managing Maximilian“ untersucht das Netzwerk um Kaiser Maximilian I., der sich stets als Mastermind seiner Propaganda inszeniert hat. Warum auch Menschen in der dritten und vierten Reihe interessant sind, und welche Rollen Frauen zugeschrieben wurden, erklärt Historiker Andreas Zajic.

Maximilian war ein Meister der Selbstinszenierung. Hier in einer Abbildung in der zeitgenössischen Biografie „Weißkunig“ ist er hoch zu Ross zu sehen. Doch hinter dem Herrscher standen zahlreiche Berater, Sekretäre und weitere Mitarbeiter:innen, die an einem erfolgreichen Bild für Gegenwart und Nachwelt arbeiteten. © Wikimedia Commons

Kaiser Maximilian I. regierte von 1493 bis 1519, aufgrund seiner gekonnt gesteuerten Medienpolitik hat man ihn als „ersten modernen Medienprofi“ betrachtet. Aber war er tatsächlich der alleinige Gestalter seiner Politik und das Mastermind seiner Propaganda?

„Kaiser Maximilian I. war keine One-Man-Show“, sagt Andreas Zajic vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er leitet seit 1. März 2023 den vorerst mit vier Millionen Euro für vier Jahre (Verlängerung auf acht Jahre geplant) vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten interdisziplinären Spezialforschungsbereich „Managing Maximilian (1493-1519) – Persona, Politics, and Personnel through the Lens of Digital Prosopography“. Expert:innen der Universität Wien, der Universität Graz, der Albertina sowie des Kunsthistorischen Museums sind ebenso Teil dieses wissenschaftlichen Netzwerks. In insgesamt acht Teilprojekten werden die personalen Strukturen des Regierungshandelns Maximilians untersucht und eine bis zu 200.000 Personen erfassende systematische Datensammlung online zugänglich gemacht. 

MAXIMILIAN: KEIN EXPERTE FÜR EH ALLES

Warum hat man Maximilian I. so lange als Alleinherrscher betrachtet, ohne sein Umfeld unter die Lupe zu nehmen?

Andreas Zajic: Im „Weißkunig“, der als großer autobiografischer, illustrierter Roman zu Lebzeiten Maximilians ungedruckt blieb, wird sein Alter Ego als weiser König porträtiert, der in Anspruch nimmt, dass er alle künstlerischen Techniken perfekt selbst beherrscht. Er leitet Künstler:innen in der Produktion an. Er gibt persönlich Geschütze in Auftrag. Maximilian ist Experte für alles. Heute aber wissen wir: Er war keine One-Man-Show. Man ist seiner Eigenvermarktung auf den Leim gegangen. So glaubte man auch lange, er habe die Entwürfe seiner Literaturprojekte selbst korrigiert. Das konnten wir mittlerweile klarstellen: Das meiste kommt von seinen Sekretären.

Maximilians Mitarbeiter:innen haben genau gewusst, was ihn als Chef interessiert.

Man rückt also von einem veralteten Geniedenken ab?

Zajic: Genau, man wusste bereits im 19. Jahrhundert, dass er einen großen Beraterstab gehabt hat, der ihm geholfen hat, sein politisches Programm umzusetzen. Seine Mitarbeiter:innen haben genau gewusst, was ihn als Chef interessiert. Man hat also versucht, Identifikationsangebote an ihn heranzutragen. Er interessiert sich für die Genealogie der Habsburger? Dann liefern wir ihm doch einen Entwurf dafür. Wir schauen tief und detailliert in diese Personennetzwerke. Wer sind diese Tausende an Menschen, die seine Politik, seine Verwaltung, aber auch die Kunst- und Literaturproduktion für ihn umsetzen?

VOM POLITISCHEN BERATER BIS ZUM AFFENWÄRTER

Welche Quellen verwenden Sie dabei?

Zajic: Seine Regierungszeit ist dicht durch schriftliche Quellen belegt, die in seiner Kanzlei entstanden sind. Die Hauptbestände liegen in Innsbruck und Wien. Das geht von den fürstlichen Gemahlinnen und politischen Beratern an seinem Hof bis hinunter zum Maultiertreiber, der im Stall steht. Oder zum Affenwärter, der in der Menagerie Maximilians tätig ist. Wir verstehen die Herrschaft Maximilians erstmals ganzheitlich. Für uns sind alle Personen, die in der schriftlichen Verwaltung auftauchen, im Prinzip gleichberechtigt. Wir schauen uns nicht nur die politischen Eliten an. Uns interessiert alles Alltägliche.

Wir schauen uns nicht nur die politischen Eliten an. Uns interessiert alles Alltägliche – bis hin zum Affenwärter, der in der Menagerie Maximilians tätig ist.

Ein Aspekt Ihrer Forschung sind Geschlechterbilder. Was gibt es für Ergebnisse?

Zajic: Es geht uns darum, die Handlungsspielräume von Frauen im „System Maximilian“ zu beleuchten, aber auch um gängige Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit am Hof. Ein Teilprojekt beschäftigt sich etwa mit den Harnisch-Aufträgen Maximilians, die als kostbare Geschenke in der Diplomatie ausgetauscht wurden. Der gerüstete, kriegstüchtige Mann war ein Ideal. Männer wurden inszeniert als die tapferen, auf der Bühne der Politik stehenden ritterlichen Wesen, während Frauen auf den ersten Blick in Haushalt und Familie verschwanden. Schaut man genauer hin, sieht man jedoch, es gab auch abseits der Fürstinnen Akteurinnen, die ihre Rollen in Politikgestaltung, Verwaltung und Kulturschaffen hatten.

BISLANG ÜBERSEHENE ROLLE VON FRAUEN AM HOF

Haben Sie konkrete Beispiele?

Zajic: Frauen als Teil des Hofs scheinen in schriftlichen Quellen oft nicht auf, weil sie keine direkten Kosten verursachten. Männliche Amtsträger kommen in den Quellen vor, weil sie zum Hofstaat gehörten und dafür formell bezahlt wurden. An ihrer Seite standen aber Ehefrauen, die informelle „Mitunternehmerinnen“ am Hof waren. Es gab etwa die bekannte Musikkapelle Maximilians, die einen Leiter brauchte. Die Personalentscheidung wurde auch davon geprägt, ob dieser eine Ehefrau hatte, die für die Sängerknaben kochen konnte. Solche Dinge muss man mitdenken. Wir schauen eine Ebene tiefer als bisher. Maximilian befahl seinem Innsbrucker Kammermeister Möringer, dessen Frau möge am Markt Birnen einkaufen und ihm daraus sein hochgeschätztes Kompott machen. Das ist keine kuriose Nebensächlichkeit, denn sie verrät einerseits viel über die Persönlichkeit Maximilians: Auf dem Höhepunkt der Venezianerkriege in Oberitalien war es dem Monarchen wichtig, auch seinen Nachschub an Birnenkompott zu sichern. Andererseits aber zeigt dieses Beispiel pointiert, dass das alltägliche Funktionieren des Hofs ganz massiv von Personen und Gruppen abhing, die bislang übersehen wurden – diesen wollen wir ihren Platz in der Forschung geben.

 

AUF EINEN BLICK

Andreas Zajic leitet die Abteilung Editions-Unternehmen und Quellenforschung am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er ist Koordinator des Spezialforschungsbereichs und leitet das Projekt zu Schriftgebrauch und Schriftlichkeit in der Herrschaft Maximilians I. Mehr dazu auch im Science ORF-Interview.