19.10.2023 | Gender & Diversity Lecture

Wie Hate Speech Frauen unsichtbar machen will

Warum Frauen oft übersehen und auch im Netz benachteiligt werden, darüber diskutiert die Medienwissenschaftlerin Claudia Wilhelm in einer Gender & Diversity Lecture an der ÖAW.

Frauen, die öffentlich einen Standpunkt vertreten, sehen sich im Internet vielfach mit Hassbotschaften, Bedrohungen und Beleidigungen konfrontiert. © AdobeStock

Frauen, die selbstbewusst und öffentlich ihre Meinung vertreten, verletzen traditionelle Geschlechtervorstellungen, sagt die Medienwissenschaftlerin Claudia Wilhelm. Fest steht, Frauen sind in sozialen Netzwerken besonders häufig mit Gewaltfantasien konfrontiert. Und: der Hass im Netz hat zugenommen. Aber wer steht hinter den Bedrohungen, Beleidigungen und Diskriminierungen gegen Frauen und wie können Hater in die Schranken gewiesen werden? Darüber spricht Claudia Wilhelm, die an der Universität Wien eine Tenure Track-Professur für Medien & Intersektionalität innehat, im Interview.

Im Rahmen einer Lecture zu Gender & Diversity an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) spricht sie am 19. Oktober zum Thema „Chancen und Risiken der (Un)Sichtbarkeit - Zur Bedeutung von Gender in der digitalen Kommunikation“. Einzelne Einblicke teilt sie schon vorab im Interview.

Feindseligkeit im Netz

Politikerinnen, Moderatorinnen, Journalistinnen: Frauen, die in der Öffentlichkeit Haltung zeigen, werden im Netz oft mit Hass überzogen. Was befeuert diese Feindseligkeit?

Claudia Wilhelm: Solche Attacken werden auch als Backlash gegen Frauen in öffentlich exponierten Positionen verstanden. Frauen, die in der Öffentlichkeit selbstbewusst und entschlossen Meinungen vertreten und Themen, insbesondere kontroverse Themen wie etwa Migration oder Geschlechtergerechtigkeit ansprechen, verletzen traditionelle Geschlechtervorstellungen. Aktives, machtbewusstes und meinungsstarkes Auftreten steht im Widerspruch zu weiblichen Geschlechterstereotypen und kann daher negative Bewertungen und soziale Bestrafungen nach sich ziehen.

Feministischer Aktivismus hat es digital leichter seine Themen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, etwa indem wie im Fall #MeToo Mainstreammedien das Thema aufgreifen.

Sie haben zu gesteigerter Sichtbarkeit von Gender in den Bereichen Journalismus, Hate Speech und politischer Social-Media-Kommunikation geforscht. Zu welchen empirischen Befunden sind Sie gekommen?

Wilhelm: Zum Teil replizieren sich in digitalen Räumen die bereits bekannten Ungleichheiten in Sachen Repräsentation und politischer Partizipation. Auch geschlechterstereotype Selbstdarstellungen finden sich in sozialen Medien wieder und begünstigen ein Fortbestehen der Geschlechterhierachie in den Machtverhältnissen und damit auch Phänomene sexualisierter Gewalt. Die Eigenschaften von Social-Media-Plattformen sorgen für eine gewisse Verstärkung dieser Effekte, etwa durch Social-Media-Feedback, Algorithmen und andere Plattformeigenschaften. Gleichzeitig ermöglichen und vereinfachen soziale Medien die Vernetzung und Verbreitung verschiedenster sozialer Bewegungen. Feministischer Aktivismus hat es digital leichter seine Themen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, etwa indem wie im Fall #MeToo Mainstreammedien das Thema aufgreifen.

#MeToo

Apropos #MeToo. Wie hat die Debatte die digitale Sichtbarkeit von Frauen verändert?

Wilhelm: Sie hat sie insgesamt gesteigert und Frauen ermutigt für Ihre Belange einzustehen und Missverhältnisse anzuprangern. Allerdings haben Frauen, die in dieser Bewegung aktiv wurden, online auch viel Hass erfahren. Zudem profitierten nicht alle Frauen gleichermaßen. Es wird kritisiert, dass der Hashtag #MeToo in den sozialen Medien zunehmend von Prominenten und besser gestellten weißen Frauen dominiert wurde, während die Initiator:innen der Bewegung, Women of Color und weniger privilegierte Frauen, in ihrer Sichtbarkeit verdrängt wurden.

Insbesondere was Genderthemen angeht, agitieren rechtspopulistische Parteien in diese Richtung und schaffen eine Grundlage für die Normalisierung solcher Hassreden.

Wer steht hinter den Bedrohungen, Beleidigungen und Diskriminierungen gegen Frauen, die durch das Internet verbreitet werden?

Wilhelm: Im Wesentlichen geht es darum Frauen oder andere soziale Gruppen zum Schweigen zu bringen und ihre Positionen und Meinungen zu marginalisieren. Insbesondere was Genderthemen angeht, agitieren rechtspopulistische Parteien in diese Richtung und schaffen eine Grundlage für die Normalisierung solcher Hassreden.

Regionale Unterschiede

Auf welchen Raum beziehen sich Ihre Befunde? Gibt es hier geografische Unterschiede?

Wilhelm: Wir haben Anti-Gender Hassrede in sozialen Medien im europäischen Vergleich untersucht.Es lassen sich Unterschiede hinsichtlich der Einstellungen gegenüber Geschlechtergerechtigkeit, Homo- und Transsexualität, der nationalen Bedeutung rechtspopulistischer Parteien, etwa ob sie die Regierung stellen oder wie hoch ihr Stimmanteil ist, zwischen den einzelnen Ländern erkennen.

Im Journalismus hat sich gezeigt, dass es dazu führen kann, dass sich Journalist:innen aus sozialen Medien zurückziehen, bestimmte Themen eher meiden oder gar den Beruf wechseln.

Inwiefern beeinflusst Hate Speech, ob, wie oft und zu welchen Themen Frauen sich äußern?

Wilhelm: Im Journalismus hat sich gezeigt, dass es dazu führen kann, dass sich Journalist:innen aus sozialen Medien zurückziehen, bestimmte Themen eher meiden oder gar den Beruf wechseln. Wir haben in einer Studie das Social-Media Engagement – also in Form von liken, teilen, kommentieren und melden – von Nutzer:innen mit Hate Speech untersucht. Da zeigte sich, dass Frauen solche Inhalte zwar weniger häufig liken und teilen als Männer, sie kommentieren oder melden sie aber auch weniger häufig.

Kennen Sie gelungene Beispiele, wie Hater in die Schranken gewiesen wurden?

Wilhelm: Es gibt da verschiedene Strategien, ob sie funktionieren, ist von Fall zu Fall verschieden. Ich habe von einer Journalistin gehört, dass sie in die direkte Gegenrede übergeht. Andere ignorieren es und delegieren die Auseinandersetzung an andere, um Distanz zu gewinnen. Unterstützung der Betroffenen durch andere, sei es die Online-Community, Kolleg:innen oder Vorgesetzte, ist wichtig.

Der Umgang mit Hatern sollte kein individuelles Problem darstellen, sondern eher eine Frage der Bedingungen, die dafür auf Plattformen oder in Foren herrschen, etwa durch Sanktionsmöglichkeiten, Meldefunktionen und einer heterogenen Nutzer:innenschaft.

 

AUF EINEN BLICK

Claudia Wilhelm istAssistenzprofessorin für Medien und Intersektionalität am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien und fokussiert dabei auf digitale Kommunikation, insbesondere Aspekte digitaler Sichtbarkeit und Devianz.

Die Veranstaltung „Chancen und Risiken der (Un)Sichtbarkeit - Zur Bedeutung von Gender in der digitalen Kommunikation“ findet am 19. Oktober 2023 um 17:30 im Theatersaal der ÖAW statt.

Weitere Informationen