12.07.2023 | Ferienzeit

Wie verbrachte man in der Habsburgermonarchie die Sommerfrische?

Eselreiten im Helenental, Eisessen in Baden und Fürst Metternich kommt spontan zum Federball-Spiel vorbei: Die Sommerfrische war bereits im 19. Jahrhundert von Eventkultur geprägt. Was man alles unternahm, um die Langeweile zu vertreiben, beschreibt die ÖAW-Habsburgerexpertin Waltraud Schütz im Gespräch.

Matthäus Trentsensky, "Der Ritt nach dem Kahlenberg", aus der Serie "Wiener Bilder", um 1850 © Wien Museum

Sommerfrische ist die Bezeichnung für das Umsiedeln von der Stadt in ein Quartier am Land zwecks Erholung. Die Vorlieben kaiserlicher Familien in Bezug auf ihre Sommerfrische beeinflussten maßgeblich die Entwicklung von Kurstädten. Für den Wiener Kaiserhof waren im 19. Jahrhundert vor allem Baden bei Wien und Bad Ischl von zentraler Bedeutung.

Aber wie verbrachte man seine Tage dort? „Man muss fast von Freizeitstress sprechen. Die Sommerfrische war durchaus ähnlich wie das Leben am Hof getaktet“, sagt Waltraud Schütz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Erforschung des Habsburgerreiches und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Die Kaiserin auf dem Esel

Gab es schon immer Trends für den Sommerurlaub?

Waltraud Schütz: Von Urlaub und Freizeit spricht man erst ab dem 19. Jahrhundert. Aber das Vertreiben der Langeweile gibt es für eine gewisse Schicht schon sehr lange. Im 19. Jahrhundert schwappte die Sommerfrische auch in andere Kreise über. Die Schriftstellerin Caroline Pichler staunte darüber, dass sich ein Fleischermeister einen Landsitz für seine Sommerfrische kaufte. 1834 war Eselreiten im Helenental ein beliebter Zeitvertreib. Gräfin Julie Hoyos schrieb am 2. August 1834 an ihre Schwester Caroline: „In Baden ist es jetzt der größte Hit und Elegance, einige Meter auf Eseln zu reiten, mehrere Tage früher muß man sich auf so etwas prenumerieren und so sehr treibt man es mit ihnen, es scheint das jetzt der Esel statt der Giraffe das Modetier geworden ist. Ganz besonders charmante muß aber der Anblick gewesen seyn, als neulich Königin, u. Kaiserin, auf so grauen Thierchen herumritten!!“

In Baden ist es jetzt der größte Hit und Elegance, einige Meter auf Eseln zu reiten.

Es gab also bereits eine Eventisierung?

Schütz: Absolut. Im frühen 19. Jahrhundert ist Baden bei Wien mit dem Helenental der Zielort der kaiserlichen Familie, in der zweiten Hälfte dann Bad Ischl. Im Helenental gab es viele sommerliche Events, etwa eine Wohltätigkeitsveranstaltung der Gesellschaft adeliger Frauen zur Beförderung des Guten und Nützlichen. 1841 organisierte die Gesellschaft ein „großes ländliches Fest im Helenenthal“ mit Pyrotechniker Stuwer und „besten Kaffee, Gefrornen und anderen Erfrischungen sowie Zuckerbäckereien“. Gefrorenes nannte man damals das Eis zum Lutschen. Es entwickelte sich auch eine Souvenir-Kultur, man kaufte gravierte Gläser, die Schwestern Hoyos beschreiben, dass sie Blumen trocknen. Diese Erinnerungen an den Sommer waren wichtig, es ging ein ganzes Jahr darum, Sehnsucht nach dem sommerlichen Beisammensein zu haben.

Die Anwesenheit der kaiserlichen Familie wirkte wie ein Publikumsmagnet.

Networking in den Ferien

Wie wichtig war Netzwerken im Sommer?

Schütz: Das war ein zentraler Aspekt. Wer den Sommer in Baden verbrachte, hatte große Chancen, den Kaiser und seine Frau Caroline Auguste beim Spaziergang anzutreffen. Die Anwesenheit der kaiserlichen Familie wirkte wie ein Publikumsmagnet. Es gab aber auch spontane Besuche auf den Landgütern der Adeligen. Im Juli 1836 berichtet Gräfin Julie Hoyos, dass Fürst Metternich mit seiner Frau in Gutenstein spontan zu Besuch gekommen wäre. Zum Glück hätten sie Forellen, Gefrorenes und Erdbeeren zuhause gehabt. Julie spielte mit Fürst Metternich nach dem Essen eine Partie Federball (Volant à plume). Sie beschrieb Metternich als „sehr heiter, lustig und gesprächig“, fügte im selben Brief allerdings hinzu: „Mich freute es zu sehen, wie freundlich er mit dem Vater war, er lachte heute recht viel, sonst stelle ich ihn mir aber recht kalt vor.“

Man musste also stets vorbereitet sein, dass Besuch kommt?

Schütz: Man muss fast von Freizeitstress sprechen. Die Sommerfrische war durchaus ähnlich wie das Leben am Hof getaktet. Gräfin Maria Ulrike Lazansky berichtete Maria Luise, Erstgeborene des Kaisers und Herzogin von Parma, am 28. Juni 1827: „Der Kaiser reist am 8. nach Baden, und man sagt, dass er 21 Bäder nehmen will, wenn es ihm gut geht. Wenn man die Sonntage und zwei bis drei Tage für Audienzen in der Stadt abrechnet, könnte er sie bis zum Ende des Monats absolviert haben.“ Für Bad Ischl wurden ab 1842 wöchentlich Listen mit den angekommenen Gästen veröffentlicht. In den „Ischler Bade Listen“ finden sich Besucherinnen und Besucher nicht nur aus allen Teilen der Habsburgermonarchie, sondern auch aus London, Edinburgh und St. Petersburg. Manche Adelige waren so verbunden mit dem Kurort, dass sie sich dort begraben ließen, wie Fürstin Marie Liechtenstein, die in Bad Ischl ruhen wollte, wo sie viele schöne Sommer erlebt hatte.

Die Hitze ist grausam, die Leute in der Stadt sind wirklich zu bedauern.

Der Hitze der Stadt entfliehen

Und wie kleidete man sich im Sommer?

Schütz: Männer trugen einen dunklen Gehrock, hellfarbige Hosen und Zylinder, dazu farbige Halsbinden und Westen. Frauen trugen hochaufgeschlossene Kleider mit Spitzen und Hüte. Im Sommer war der flache, breitkrempige Florentinerhut beliebt, der aus Stroh gemacht und mit Blumen oder einem Schleier verziert wurde. Ein sogenannter Parasol, also ein Sonnenschirm, sollte vor der Sonne schützen. Die Menschen waren froh, der Hitze in der Stadt zu entkommen. Am 2. August 1834 schrieb Gräfin Julie Hoyos an ihre Schwester Caroline: „Die Hitze ist grausam, die Leute in der Stadt sind wirklich zu bedauern. Krankheiten zeigen sich, viele Menschen werden auch närrisch, wenigstens ist es freundlicher sie so zu nennen, an einem Tage ereigneten sich in Wien 5 Mordthaten worunter ein 80jähriger Mann, seine 76jährige Frau!“

 

AUF EINEN BLICK

Waltraud Schütz studierte Geschichte an der Universität Wien und am University College Dublin. Sie promovierte am European University Institute (Florenz). Schütz forschte am Institut für Geschichte der Universität Wien ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Erforschung des Habsburgerreiches und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).