25.07.2023 | NHM-Ausstellung

Wir und die Welt der Viren

SARS-CoV-2 war nur ein Virus von vielen. Denn tatsächlich gibt es die Krankheitserreger in millionenfacher Form und die meisten davon sind uns unbekannt. Was wir über Viren wissen und woher sie möglicherweise kommen, erzählt eine neue Wissens-Station im Naturhistorischen Museum Wien, die gemeinsam mit Forschenden des Instituts für Molekulare Biotechnologie der ÖAW entwickelt wurde. Molekularbiologe Jürgen Knoblich gibt im Interview erste Einblicke in die geheimnisvolle Welt der Viren.

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Vogelgrippe, Ebola, Marburg, Lassa, Influenza und natürlich SARS-CoV-2 sind nur einige der bekannten – und gefährlichen – Viren. Was die winzigen Erreger eigentlich genau sind und welche Auswirkungen sie auf Menschen haben, damit beschäftigt sich eine neue interaktive Station im Deck 50 des Naturhistorischen Museum Wien (NHM), die nun von Katrin Vohland, Generaldirektorin des Naturhistorischen Museum Wien, Heinz Faßmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Jürgen Knoblich, wissenschaftlicher Direktor des IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der ÖAW, eröffnet wurde. Das Highlight der Ausstellung: Ein rund ein Meter großes Modell des Coronavirus. 

Woher Viren kommen, was sie mit Fledermäusen zu tun haben - und ob Viren auch ihr Gutes haben (Spoiler: eher nein), erzählt Molekularbiologe Knoblich im Interview.

VIREN VERSKLAVEN UNSERE ZELLEN

Was sind Viren?

Jürgen Knoblich: Viren sind an der Grenze von dem, was wir als lebend bezeichnen. Sie sind molekulare Parasiten, welche die Information haben in die Wirtszelle einzudringen, diese zu versklaven und sie zwingen, nur noch dieses Virus zu produzieren. Es gibt verschiedene Arten von Viren, die alle ein genetisches Programm haben. Das kann DNA oder RNA sein, weiters haben sie eine Hülle und ein paar Gene, die es ihnen erlauben die Wirtszelle umzuprogrammieren.

Kennt man den Ursprung der Viren?

Es gibt Viren, seit es Gene gibt.

Knoblich: Dazu gibt es ganz aktuelle Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Viren sich aus hüpfenden Genen weiterentwickelt haben. Viren sind, Sie erinnern sich, molekulare Parasiten. Und es gibt noch einfachere Formen davon – das sind sogenannte Transposons, also hüpfende Gene oder Stücke von DNA, die nichts anderes im Sinn haben, als sich selbst zu vermehren. Diese sind in der Evolution so alt wie die DNA selbst. Irgendwann haben sie es geschafft, sich eine Hülle zu besorgen und damit konnten sie aus einer Zelle hinaus und in eine andere hineinhüpfen. Einer der evolutionär ältesten dieser Vorgänge ist kürzlich am IMBA der ÖAW von der Gruppe um Alejandro Burga entdeckt worden.

Im Laufe der Entwicklungsgeschichte wurden Viren dann immer komplizierter. Sie haben Mechanismen entwickelt, um die Immunabwehr zu umgehen oder effizientere Methoden, um sich zu vermehren und wurden immer aggressiver.

Und seit wann gibt es Viren?

Knoblich: Es gibt Viren seitdem es Erbinformation und Vermehrung gibt.

Welche Rolle spielen Viren in der Evolution der Menschheit?

Knoblich: Das ist eine sehr interessante Frage, die immer noch kontrovers diskutiert wird - und zu der auch bei uns am Institut intensiv geforscht wird. Es wird gemutmaßt, dass wir Viren oder auch Transposons brauchen. Denn es ist mittlerweile klar geworden, dass viele sehr wichtige Veränderungen in unserem Erbmaterial durch hüpfende Gene oder Viren hervorgerufen wurden. Das heißt, manche Viren springen in unser Erbgut hinein und bleiben dort und können Krankheiten auslösen, wie zum Beispiel Tumore. Aber sie können manchmal – wenn auch selten – etwas Gutes tun.

Im Augenblick wird in der Forschung spekuliert, ob es Viren gibt, weil wir sie brauchen, um uns schnell genug verändern zu können. Aber auf diese kontroverse Diskussion gibt es noch keine abschließende Antwort.

BÖSE VIREN, SCHLAUE FLEDERMÄUSE

Das betrifft also die Entwicklungsgeschichte. Können Viren uns heute auch etwas Gutes tun?

Knoblich: Nein, für den Menschen sind sie nur schädlich. Es gibt nichts Gutes, was durch einen Virus ausgelöst wird. Wenn man diese alle ausrotten könnte, dann wäre die Welt eine bessere.

Es gibt nichts Gutes, was durch einen Virus ausgelöst wird.

Und könnte das möglich sein?

Knoblich: Nein, das ist wie eine Hydra. Man schlägt einen Kopf ab und es kommen zehn neue.

Wie viele Virusarten gibt es denn eigentlich?

Knoblich: Millionen und Abermillionen und die meisten kennen wir gar nicht. Sehr interessant ist, dass es bei Fledermäusen besonders viele Arten von Viren gibt. Fledermäuse sind eine der artenreichsten Gruppen im Tierreich und diese haben eines gemeinsam, nämlich dass ihre DNA komplett voll mit Viren ist. Sie haben nämlich die Immunantwort gegen Viren verloren und stattdessen bauen sie Viren in ihre DNA ein. So haben sie die Information in ihrer DNA, die es den Zellen erlaubt zu erkennen, um welche Viren es sich handelt und diese gezielt abzuwehren, aber nicht krank zu werden. Forscher:innen versuchen deshalb zu verstehen, wie dieser Umstand genetisch verankert ist und was man daraus für den Menschen lernen kann. Das steht aber noch ganz am Anfang. Es gibt zudem auch Forschung mit Zellkulturen von Fledermäusen, um herauszufinden, welche Viren wir in Zukunft noch zu erwarten haben.

Wenn eine Fledermaus einen Virus bekommt, steckt sie alle an. Darum haben sie eine ungewöhnliche Art des Zusammenlebens mit Viren entwickelt.

Warum haben gerade Fledermäusen so viele Viren?

Knoblich: Es gibt Vermutungen, dass Fledermäuse wahrscheinlich nicht anders können. Weil sie so eng zusammenleben, haben sie keine Chance die Verbreitung einer Virusinfektion abzuwehren. Denn die jeweiligen Viren rauschen quasi durch die gesamte Population wie ein Wirbelsturm. Wenn eine Fledermaus einen Virus bekommt, steckt sie also alle an. Darum haben sie diese ungewöhnliche Art des Zusammenlebens mit Viren entwickelt.

Dabei gibt es übrigens spannende Parallelen zu uns Menschen. Denn auch die Menschheitspopulation wird immer dichter und deshalb immer anfälliger für Viren. Im Mittelalter etwa gab es keine Erkältungskrankheiten, die durch Viren ausgelöst werden, wie zum Beispiel Schnupfen. Diese hatten keine Chance, weil einfach zu wenig Menschen da waren.

NEUE IMPFSTOFFE DURCH CORONA

SARS-CoV-2 ist wohl das berühmteste Virus der letzten Jahre – haben wir durch die Erforschung dieses Virus nun mehr Wissen über Viren allgemein?

Knoblich: Das würde ich so nicht sagen. SARS-CoV2 ist nur eine neue Variante, aber keine völlig neue Art von Virus. Erkenntnisgewinne haben wir aber indirekt erzielt. So hat uns die Epidemie eine völlig neue Art von Impfstoffen gebracht, die ein unglaubliches Potential für die Zukunft für die Bekämpfung anderer Infektionskrankheiten, aber auch von Krebs haben.

Und zweitens hat SARS-CoV-2 uns gezeigt, wie unglaublich wichtig wissenschaftliche Grundlagenforschung für unsere Gesellschaft ist. Ein Beispiel: Ohne die Österreichische Akademie der Wissenschaften und deren Institute wäre es viel langsamer gelungen, in Österreich Tests durchzuführen. Man kann sagen, dass die weltweit vernetze Grundlagenforschung uns vor einer totalen Katastrophe bewahrt hat.

Bei SARS-CoV-2 hat die weltweit vernetze Grundlagenforschung uns vor einer totalen Katastrophe bewahrt.

Forschung an Viren – wie läuft das eigentlich ab?

Knoblich: Viren werden größtenteils in Zellkulturen untersucht. Denn Viren infizieren Zellen und wenn man herausgefunden hat, über welche Zellen sie in den Körper hineinkommen, kann man sie an dieser Zellkultur erforschen. Will man die Immunabwehr erforschen, kommt man um Tierversuche nicht herum.

Neuerdings macht man auch viel Virenforschung an Organoiden, das sind organähnliche Mikrostrukturen, weil man so auch studieren kann, wie Viren von einer Zelle zur anderen gelangen und wie sie in das Gewebe eindringen.

 

AUF EINEN BLICK

Jürgen Knoblich promovierte am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie Tübingen und forschte als Post-Doc an der University of California, San Francisco. Nach seiner Rückkehr nach Europa war er zunächst Gruppenleiter am Research Institute of Molecular Pathology (IMP) und wechselte 2005 ans IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), dessen wissenschaftlicher Direktor er seit 2018 ist. Knoblich hat eine Professur für Synthetische Biologie an der Medizinischen Universität Wien inne und ist Mitglied der ÖAW und der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften.

Die neue Wissens-Station „Das Virus und Wir“ ist seit 26. Juli 2023 im Deck 50 des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien zu sehen. Die Station entstand in einer Zusammenarbeit zwischen dem NHM Wien, der Medizinischen Universität Wien und dem Institut für Molekulare Biotechnologie der ÖAW.