03.07.2023 | Stammzellforschung

"Embryomodelle sind eine ethische Alternative"

Kürzlich berichteten mehrere Forschungsgruppen in den USA, Israel und China über Fortschritte in der Entwicklung von Embryomodellen aus menschlichen Stammzellen. Durch Forschung an solchen Modellen könnten Erkenntnisse über Unfruchtbarkeit, frühe Fehlgeburten und pränatale präventive Medizin gewonnen werden. Doch was sind Embryomodelle eigentlich? Welche Chancen bieten sie für die Lösung von Global Health Challenges und welche ethischen Fragestellungen ergeben sich durch die Forschung mit Stammzellen? Das erklärt ÖAW-Molekularbiologe Nicolas Rivron im Interview.

In den letzten 10 Jahren wurden viele Embryomodelle in Laboren entwickelt. Dabei werden menschliche Stammzellen zu Kugeln geformt, die kleiner als der Durchmesser eines Haares sind. Diese Modelle sind weit davon entfernt, Embryonen zu ähneln und werden weder rechtlich noch wissenschaftlich als solche angesehen. Doch sie werden immer wichtiger, um im Labor zu erforschen, wie sich embryonale Zellen organisieren und welche Gene und Moleküle dabei im Spiel sind. Und sie stellen eine ethische Alternative zur Forschung an menschlichen Embryonen aus künstlicher Befruchtung dar, die derzeit in manchen Ländern von Eltern, die keine Kinder mehr bekommen möchten, der Forschung gespendet werden können, wie Nicolas Rivron vom IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Gespräch erklärt.

Was genau sind Embryomodelle?

Nicolas Rivron: In den vergangenen zehn Jahren wurden im Labor Embryomodelle entwickelt, indem tierische oder menschliche Stammzellen zu einer Art kleinen Kugel zusammengefügt werden. Die Kugel ist kleiner als der Durchmesser eines Haares. Unter bestimmten Bedingungen im Labor können diese Modelle ansatzweise einzelne Aspekte der frühen Embryonalentwicklung widerspiegeln – etwa die der ersten Schwangerschaftswoche. Diese Modelle sind aber weit davon entfernt, mit echten Embryonen vergleichbar zu sein, und werden weder rechtlich noch wissenschaftlich als solche angesehen. Sie sind jedoch äußerst hilfreich, um im Labor zu erforschen, wie sich embryonale Zellen organisieren und welche Gene und Moleküle dabei eine Rolle spielen. Damit können wichtige wissenschaftliche und medizinische Fragen beantwortet werden.

Wie unterscheiden sich Embryomodelle von Embryonen, die aus einer befruchteten Eizelle entstehen?

Rivron: Sie werden aus Stammzellen geformt, daher benötigen sie weder die Verwendung von Eizellen oder von Samenzellen. Die Modelle sind um einiges einfacher und weniger organisiert als Embryonen, deshalb ist es wichtig, sie als Embryomodelle zu bezeichnen. Diese Embryomodelle sind nicht in der Lage, sich in ein Lebewesen zu entwickeln. Wir wissen sogar, dass sie sich nicht länger als ein paar Tage in einer Petrischale entwickeln können.

Diese Embryomodelle sind nicht in der Lage, sich in ein Lebewesen zu entwickeln."

Inwiefern stellt die Forschung an Embryomodellen eine Alternative zur Forschung an Embryonen dar?

Rivron: In vielen Ländern können durch In-vitro-Fertilisation (IVF) gewonnene Embryonen von Eltern, die ihre Familienplanung abgeschlossen haben, an die Forschung gespendet werden. Diese gespendeten IVF-Embryonen – bestehend aus etwa 100 Zellen – können nach Genehmigung und unter strenger Überwachung durch Ethikkommissionen in hochspezialisierten Labors erforscht werden. So werden sie beispielsweise mit einem Hormon stimuliert, um ihre Fähigkeit zur Einnistung in die Gebärmutter zu verbessern. Die Forschung muss jedoch am 14. Tag der Embryo-Entwicklung eingestellt werden. Weil es nur wenige IVF-Embryonen gibt, ist ihre Verwendung sehr begrenzt und kompliziert. Im Gegensatz dazu können Embryomodelle einfach und ohne Verwendung eines Embryos hergestellt werden. Sie bieten somit eine ethische Alternative.

Embyromodelle können Erkenntnisse liefern, die zur Verbesserung von In-vitro-Fertilisation oder zur Verhinderung von Fehlgeburten wichtig sind."

Welche Fortschritte haben Sie in letzter Zeit bei Embryonenmodellen gemacht?

Rivron: Wir haben Moleküle gefunden, von denen bisher nicht bekannt war, dass sie in der Gebärmutter vorhanden sind, und von denen wir glauben, dass sie die Entwicklung des Embryos unterstützen. Diese Moleküle könnten für medizinische Anwendungen zur Verbesserung der IVF oder zur Verhinderung von Fehlgeburten wichtig sein, was wir weiter erforschen wollen.

Sie sind auch an der Entwicklung eines ethischen Rahmens beteiligt. Können Sie uns einen Einblick geben?

Rivron: Alle diese Forschungsarbeiten werden unter der strengen Aufsicht von nationalen, europäischen und internationalen Ethikkommissionen durchgeführt. In Österreich ist die Kommission für Wissenschaftsethik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zu dem Schluss gekommen, dass diese Forschung wissenschaftlich vielversprechend ist und nicht im Widerspruch zu den ethischen Grundsätzen der österreichischen und EU-Vorschriften steht. Außerdem stellte sie fest, dass wir über beste Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, um diese Forschung mit höchsten ethischen Standards durchzuführen.

Alle diese Forschungsarbeiten werden unter der strengen Aufsicht von nationalen, europäischen und internationalen Ethikkommissionen durchgeführt."

In Gesprächen mit Wissenschaftler:innen, Ethiker:innen, Philosoph:innen und Aufsichtsbehörden in vielen Ländern und mit der Internationalen Gesellschaft für Stammzellenforschung (ISSCR) habe ich mich zudem intensiv für die Stärkung dieses ethischen Rahmens eingesetzt. Diese strenge Regulierung und Überwachung stellt zugleich sicher, dass die Forschung nach und nach Erkenntnisse liefern kann, die den medizinischen Fortschritt voranbringen.

 


AUF EINEN BLICK

Nicolas Rivron  leitet eine Forschungsgruppe, die mit Embryomodellen forscht, am IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Zuvor war er an verschiedenen Wissenschaftseinrichtungen in den Niederlanden und den USA tätig. Für seine Forschungsarbeit erhielt er 2020 einen Consolidator Grant des European Research Council (ERC).

Impressionen aus dem Science Update

FAQ ZU EMBRYOMODELLEN