10.10.2023 | Exzellenzcluster

Mikrobiome als Grundlage des Lebens

Die Rolle von Ökosystemen aus Mikroorganismen in der Natur und im Körper steht im Zentrum der Forschungen des vom FWF finanzierten Excellenzclusters “Mikrobiomes Drive Planetary Health”. ÖAW-Molekularmedizinerin Clarissa Campbell schildert im Gespräch, was Mikrobiome sind und wie man mehr über sie herausfinden kann.

Ökosysteme von Mikroorganismen spielen in unserem Körper eine zentrale, aber bisher noch nicht ausreichend erforschte, Rolle. © AdobeStock

Der Wissenschaftsfonds FWF finanziert in Österreich fünf neue Exzellenzcluster, darunter drei Forschungsvorhaben mit Beteiligung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Im Exzellenzcluster “Mikrobiomes Drive Planetary Health” wird unter der Leitung von Michael Wagner von der Universität Wien an der Rolle von Ökosystemen aus Mikroorganismen in Natur und Körper geforscht. Clarissa Campbell vom CeMM - Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW spricht im Interview über die Forschungsschwerpunkte ihres Clusters und die überwältigende Komplexität mikrobieller Lebensgemeinschaften.

Struktur und Funktion von Mikrobiomen

Was sind die Ziele des neuen Exzellenzclusters?

Clarissa Campbell: Wir möchten die Struktur und Funktion von Mikrobiomen in der Umwelt und in Wirtsorganismen besser verstehen. Dann können wir uns den Einfluss, den sie auf die Gesundheit von Mensch und Umwelt haben, gezielt zunutze machen. Das klappt nur, wenn wir die Barriere zwischen medizinischer und ökologischer Mikrobiologie aufbrechen und gemeinsame Grundlagen suchen.

Besonders spannend wird die Zusammenarbeit zwischen den Mediziner:innen und den Ökolog:innen.

Was werden die großen Forschungsthemen sein?

Campbell: Wir haben drei große, gleichberechtigte Themenblöcke, die für Ökologie und Medizin relevant sind. Der erste Block beschäftigt sich mit der Frage, wie die Zusammensetzung und Funktion durch Interaktionen in und zwischen den Mikrobiomen sowie Einflüsse von Wirtsorganismen, Umwelt und anderen Lebewesen geformt werden. Im zweiten Block untersuchen wir, wie Biome auf Umwelteinflüsse reagieren und welche Auswirkungen diese Reaktionen ihrerseits wieder auf die ökologischen Prozesse haben. Die dritte große Frage ist, ob wir die Ergebnisse von gezielten Eingriffen und störenden Einflüssen vorhersagen können, um die Biome so zu steuern, dass sie Schäden in Ökosystemen mildern oder beheben können.

Welche Fragen finden Sie besonders aufregend?

Campbell: Besonders spannend wird die Zusammenarbeit zwischen den Mediziner:innen und den Ökolog:innen. Wir werden viele Konzepte aus der ökologischen Mikrobiomforschung anwenden, um grundlegende Prinzipien der Dynamik zu entschlüsseln, unabhängig vom Lebensraum der Biome. Das ist nur möglich, weil wir ein entsprechendes Team haben, das alle nötigen Daten harmonisiert, um sicherzustellen, dass die Informationen aus verschiedenen Systemen vergleichbar bleiben. Wir Mediziner:innen freuen uns zudem besonders darauf, Zugriff zu den neuesten Technologien zu bekommen und diese einzusetzen, um die Funktion des menschlichen Mikrobioms zu untersuchen.

Bedeutung bei Entzündungen und im Verdauungstrakt

Welche Rolle können Mikrobiome in der Medizin spielen?

Campbell: Ich bin an zwei verschiedenen Projekten zu diesem Thema beteiligt. Im ersten untersuchen wir die Funktion des Mikrobioms im Dünndarm, das weniger gut erforscht ist, als das einfacher zugängliche Dickdarmbiom. Hier interessiert uns vor allem die potenzielle Rolle von Archaeen als Treiber von schädlichen Entzündungen. Im zweiten Projekt untersuchen wir die Rolle von Bakteriophagen - das sind Viren, die Bakterien verspeisen -  bei der Umgestaltung der Biome im Verdauungstrakt, wenn das Immunsystem angegriffen wird. Beide Projekte haben direkte medizinische Relevanz und werden uns helfen, die ökologischen Grundprinzipien der Biome zu verstehen, um sie in Zukunft therapeutisch nutzen zu können.

Leben auf der Erde ist ohne Mikrobiome nicht möglich.

Was machen Mikrobiome für unsere Makro-Ökosysteme?

Campbell: Mikrobiome sind das Ökosystem. Wir verwenden gerne ein Gedankenexperiment, bei dem man sich vorstellt, dass alle Mikroben verschwinden. Zuerst wären wir alle glücklich, weil viele Krankheiten nicht mehr existieren würden. Aber schon nach kurzer Zeit müssten wir synthetische Vitamine zu uns nehmen. Wir könnten Ballaststoffe nicht mehr verdauen, was für alle Pflanzenfresser zum Aussterben führen würde. Tote Organimsen würden nicht mehr verwesen, die Pflanzen könnten ohne Bakterien keinen Stickstoff mehr fixieren und die Atmosphäre würde langsam toxisch werden, wenn auch keine Photosynthese betreibenden Prokaryoten mehr existieren. Kurzum: Leben auf der Erde ist ohne Mikrobiome nicht möglich.

Welchen Einfluss haben Mikrobiome auf unser Immunsystem?

Campbell: Wir wissen, dass Mikrobiome das Immunsystem nicht nur lokal im Verdauungstrakt, sondern systemweit beeinflussen. Einerseits können bestimmte Bakterien das Immunsystem stimulieren und die Abwehrreaktionen verbessern. Das lässt sich etwa für die Krebsimmuntherapie nutzen. Andererseits können aus dem Gleichgewicht geratene Biome zu Entzündungen im Darm führen, die zu Tumoren führen können. In den vergangenen Jahren haben wir gelernt, dass vor allem die Stoffwechselaktivität von Darmbakterien wichtig für die Regulierung des Immunsystems ist. Jetzt wollen wir verstehen, wie mikrobielle Stoffwechselprodukte die Immunantwort steuern und wo sie auf molekularer Ebene andocken. Das könnte den Weg zu neuen Therapien ebnen.

Pioniere in kahlen Systemen

Wie entsteht ein Biom überhaupt?

Campbell: Wenn Biome Lebensräume wie Erde oder den Verdauungstrakt von neugeborenen Babys besiedeln, sind das anfangs kahle Systeme. Die ersten Arten modifizieren ihre Umwelt und machen sie damit für andere Organismen bewohnbar. Diese Pionierarten sind die Grundpfeiler für die Biome. Die Beziehungen zwischen den Bakterienstämmen sind komplex, mit einer Vielzahl an Wechselwirkungen. Die Biomforschung ist erst etwa 20 Jahre alt und anfangs haben Pioniere zum Beispiel die Biome von Säuglingen und deren Entwicklung untersucht, um Bakterienarten zu finden, die mit bestimmten Krankheiten korrelieren. Heute kennen wir ganze Netzwerke von Arten, die oft zusammen vorkommen, und ihre Beziehungen. Oft sind verschiedene Spezies in der Lage, dieselbe Funktion in einem Biom zu übernehmen. Das macht unsere Arbeit sehr kompliziert.

Je genauer man das Biom analysiert, desto größer werden die Unterschiede.

Wie unterscheiden sich die Mikrobiome einzelner Menschen?

Campbell: Verwandte Menschen teilen sich normalerweise einige Bausteine ihres Mikrobioms, genau wie Menschen, die viel Zeit miteinander verbringen. Je genauer man das Biom analysiert, desto größer werden die Unterschiede, bis hinunter auf die individuelle Ebene. Die Ernährung spielt auch eine große Rolle und beeinflusst die relative Häufigkeit von zwei großen Darmbakterienstämmen: Bacilotta und Bacteroidetes. Eine pflanzenbasierte Ernährung wird mit einem niedrigeren Verhältnis von Bacilotta zu Bacteroidetes assoziiert, eine fettreiche Ernährung ist hingegen verknüpft mit einem gegenteiligen Profil.

Welche Biome gibt es im Körper außerhalb des Verdauungstraktes?

Campbell: Auf der Haut gibt es Mikrobiome, die tendenziell aber nicht sehr stabil sind und sich ständig ändern. Forscher:innen schauen sich auch die Biome in den Lungen an, weil das für Transplantationen wichtig sein kann. Aber die Dichte und Komplexität dieser Biome ist deutlich geringer als im Verdauungstrakt.