13.10.2023 | Virenschutz

Virenabwehr in Stammzellen der Pflanzenspitze

Pflanzen sind schädlichen Viren nicht schutzlos ausgeliefert. Sie können bei einer Infektion die Stammzellen ihrer wachsenden Spitzenregion virenfrei erhalten. Den entsprechenden molekularen Pfad haben Molekularbiolog:innen der ÖAW in der aktuellen Ausgabe von PNAS beschrieben.

Pflanzenwachstum geht von Stammzellen der Triebspitze aus © Adobe Stockfoto

Stammzellen sind so wichtig im Leben mehrzelliger Organismen, dass sich zu ihrem Schutz sehr effiziente antivirale Mechanismen entwickelt haben. Das gilt für Säugetiere ebenso wie für Pflanzen. Stammzellen sind für die individuelle Regeneration unabdingbar und garantieren über die Keimbahn die Weitergabe des Lebens an die nächste Generation. Wie nun Pflanzen Viren von Stammzellen ausschließen, haben Molekularbiolog:innen vom GMI – Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaft (ÖAW) in der Fachzeitschrift PNAS - Proceedings of the National Academy of Sciences of the Unitted States of America beschrieben.

Erstautor Marco Incarbone, früher Postdoktorand am GMI und mittlerweile Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam, hat zusammen mit  Gabriele Bradamante und weiteren GMI-Forscher:innen neues Licht in die molekularen Grundlagen der Virusabwehr in pflanzlichen Stammzellen gebracht. Diese Stammzellen befinden sich stets an der Spitze der Pflanze. Aus ihnen entsteht topdown das gesamte oberirdische Pflanzengewebe inklusive der Samenanlagen für die nächste Generation. Das Faszinierende ist: In diesen Stammzellen können sich Viren nicht vermehren.

Antiviralen Abwehrkräften auf der Spur

Um die antiviralen Abwehrkräfte dieser Zellgruppe zu verstehen, richteten Incarbone und das Team am GMI eine Screening-Plattform ein. Mithilfe von Hochdurchsatz-Mikroskopietechniken konnten sie virusinfizierte Arabidopsis-Sprossspitzen zu verschiedenen Zeitpunkten untersuchen. Mit diesem dynamischen, halbquantitativen Ansatz beobachteten die Forscher:innen, dass die Viren zunächst sogar in die Stammzellen eindringen, dann aber rasch ausgeschlossen werden. „Überraschenderweise sind diese Zellen wirklich gut darin, das Virus zu vertreiben", so Incarbone.

RNA-Interferenz und Salicylsäure

Um diese "Überraschung" zu verstehen, galt es, Hinweisen aus früheren Arbeiten nachzugehen: der RNA-Interferenz, durch die die Vermehrung von Viren in Pflanzen und Tieren bekanntermaßen gehemmt wird, und dem Pflanzenhormon Salicylsäure, das generell bei der Virusabwehr in Pflanzen eine Rolle spielt. Incarbone und seine Kolleg:innen verwendeten für die weiteren Analysen Arabidopsis-Mutanten, denen bestimmte Komponenten des RNA-Interferenz-Signalwegs fehlten, beziehungsweise Pflanzen, denen es an Salicylsäure mangelte.

Die Pflanze erkennt das Virus und nutzt Salicylsäure als Alarmglocke.

Mit gezielten Experimenten stellten die Forscher:innen fest, dass bei einer Virusinfektion die Produktion von Salicylsäure aktiviert wird. „Die Pflanze erkennt das Virus und nutzt Salicylsäure als Alarmglocke.“ Salicylsäure wiederum aktiviert RDR1, einen Schlüsselfaktor für die Verstärkung der RNA-Interferenz. RDR1 steigert die Produktion von doppelsträngiger RNA aus viraler RNA, wodurch die Pflanzen mehr virusspezifische Sequenzen erhalten, die den Abwehrmechanismus auf das eindringende Virus richten. Dabei wird RDR1 nicht in den Stammzellen selbst produziert, sondern im Gewebe unterhalb und in den Leitgefäßen. „Dort erzeugt es die RNA-basierte und höchstwahrscheinlich mobile Information, die die Stammzellen gegen das eindringende Virus immunisiert", erklärt Incarbone. Auch wo und wann die Salicylsäure genau produziert wird, ist noch eine offene Frage.

Wir schlussfolgern, dass RNA-Interferenz immer notwendig ist, um Stammzellen vor Infektionen zu schützen.

Im Kampf gegen das in der aktuellen Studie verwendete Modell-Virus Turnip Mosaic Virus sind sowohl Salicylsäure als auch RDR1 notwendig, um das Virus aus den Stammzellen zu vertreiben. Andere Viren aber lösen oft geringfügig andere Abwehrsignalwege aus. So wird etwa bei der Bekämpfung mancher Viren Salicylsäure und RDR1 zwar aktiviert, aber nicht unbedingt benötigt. „Aus unseren Experimenten mit anderen Viren können wir dennoch schließen, dass RNA-Interferenz immer notwendig ist, um Stammzellen vor Infektionen zu schützen“, bestätigt Incarbone.

Wie werden die Samen geschützt?

„Warum können Viren die RNA-Interferenz im größten Teil der Pflanze unterdrücken, aber nicht in den Stammzellen?

Die aktuelle Studie liefert wichtige Erkenntnisse über die antivirale Abwehr von Stammzellen und bietet einen molekularen Rahmen um weiter Fragen zu beantworten. Zum Beispiel nach der Umgehung der RNA-Interferenz: Warum schaffen Viren diese Umgehung im größten Teil der Pflanze, nicht aber in den Stammzellen? In weiteren Studien soll zudem  geklärt werden, wie Viren daran gehindert werden, in die Samen ‒ und damit in die Nachkommen einer infizierten Pflanze ‒ einzudringen.

 

 

Auf einen Blick

Publikation:

Incarbone M., Bradamante G. et al.: Salicylic acid and RNA interference mediate antiviral immunity of plant stem cells. PNAS 2023. DOI: 10.1073/pnas.2302069120